“Warte-Zeit” heißt das diesjährige RischArt-Projekt, bei dem sich die teilnehmenden Künstler im Münchner Hauptbahnhof auf vielfältige Weise mit dem Thema Warten auseinandersetzen. Sommerzeit ist Reisezeit. Doch oft funktioniert das Vorankommen in dieser Jahreszeit nicht so, wie man es sich vorstellt. Man steht mit dem Auto im Urlaubsstau oder hat gerade den Zug verpasst. Dann heißt es: warten.

Und genau mit diesem Warten beschäftigt sich das diesjährige RischArt-Projekt “Warte-Zeit” im Münchner Hauptbahnhof. Zwei Wochen lang sind zehn künstlerische Positionen zur “Warte-Zeit” zu sehen, die über den gesamten Bahnhof verteilt sind. Manche Installationen wird der Passant beim schnellen Vorbeihasten gar nicht wahrnehmen, denn ein Bahnhof ist auch ein Ort geschäftigen Treibens. Doch es lohnt sich, innezuhalten – vielleicht seinen eigentlichen Zug fahren zu lassen –, um inspiriert in den nächsten einzusteigen. Wer auf keinen Fall mehr Warte-Zeit als nötig investieren möchte, kann sich am Infopunkt in der Haupthalle beraten lassen, welche Stationen sich für die eigene Wartezeit besonders lohnen. Dort befinden sich auch die ersten drei Kunstwerke.
Eine davon ist die Schreibstube von Matthias Beckmann. Hier kann man eine Postkarte des Künstlers ausmalen, eine nette Dame schreibt sie anschließend für einen und schickt sie an einen lieben Menschen – ganz wie in alten Zeiten, als es am Bahnhof noch Schreibstuben gab und Briefeschreiber ein eigener Beruf war. Übrigens wurden die Postkartenschreiberinnen nach der Schönheit ihrer Handschrift ausgewählt. Meine Grüße sind inzwischen hoffentlich wohlbehalten in Stuttgart angekommen.

Um ganz andere Wünsche geht es der Künstlerin Doris Weinberger. An ihrem Kiosk II in der Querbahnsteighalle bietet sie den Vorübergehenden ein Tauschgeschäft an: eigene Bedürfnisse und Wünsche gegen die von anderen. Nachdem ich meinen Wunsch in ein Mikrofon gesprochen habe, erhalte ich im Gegenzug eine Flaschenpost.
Nahe der Gleise zieht auch Ute Heim ihre Runden. Zwischen 11:15 Uhr und 12:30 Uhr zieht sie einen Wagen hinter sich her und singt Sehnsuchtslieder in verschiedenen Sprachen – über Warten, Hoffen und Vermissen. Schade nur, dass die Lieder im Lärm des Bahnhofs ein wenig untergehen.

Viele Sprachen wurden sicher auch von den Gastarbeitern gesprochen, die in den 1950er-Jahren nach Deutschland kamen. Ihnen sind gleich zwei Arbeiten gewidmet: Willi Dorners “Endstation Zukunft” und Dörthe Bäumers “Warten an Gleis 11”. Der österreichische Künstler Dorner hat einen Dunkelraum im Untergrund des Bahnhofs eingerichtet, während Dörthe Bäumer einige Gepäckfächer zweckentfremdet hat. Diese lassen sich während der Ausstellungszeit nicht benutzen – stattdessen befinden sich darin alte Fotos einiger der damals angekommenen Gastarbeiter. Sicherlich ein Überraschungsmoment für Reisende, die nach einem Ort suchen, um ihren Koffer zu deponieren. Genauso wie das Gepäck nur für kurze Zeit im Fach lagert, warteten die Menschen – praktisch auf der Durchreise – auf ihre Zukunft irgendwo in Deutschland.

Am besten hat mir jedoch die Installation “Zeitfenster” von Franziska und Sophia Hoffmann gefallen. Die beiden Dresdner Künstlerinnen beschäftigen sich in ihren Arbeiten mit ausrangierten Gegenständen. Im Zuge der Umstellung auf moderne Technik haben sie mehrere Uhren von der Bahn erhalten, die sie auf der Galerie (neben dem Wartesaal) ausstellen.
Diese Anhäufung von Uhren ergibt ein surreales Bild – vor allem, da sie alle unterschiedlich gehen. Sie stehen sinnbildlich für unser Zeitempfinden, denn jeder Mensch nimmt Zeit auf seine eigene Weise wahr.

Wer sich den Audioguide “Ligna Warten: Ein Audio-Guide ins Nichtstun” anhören möchte, sollte ihn sich am besten bereits vor dem Besuch herunterladen, da er recht groß ist. Er ist Teil des künstlerischen Projekts, kann aber auch an anderen Orten angehört werden.
Das RischArt-Projekt “Warte-Zeit” wurde von Katharina Keller kuratiert und ist noch bis zum 19. Juli 2015 zu sehen.