Neben den großen Häusern in München wie das Nationaltheater oder das Gärtnerplatztheater gibt es eine freie Szene von Tänzern und Choreographen. Sie sind experimentierfreudig und schaffen eigene Inszenierungen zu aktuellen Themen. Da aber für diese Produktionen keine festen Strukturen/Spielräume bestehen, ist eine Vernetzung extrem wichtig.
Deshalb haben sich 1987 einige Protagonisten der Freien Tanzszene in München aus der Notwendigkeit heraus, knappe Ressourcen und Geldmittel zu bündeln und um Synenergien zu schaffen, zur Tanztendenz zusammengeschlossen. Bei der Gründung der ersten Produktionsgemeinschaft für zeitgenössischen Tanz in Deutschland waren das Birgitta Trommler und Angela Dauber (Tanzprojekt München), Micha Purucker(Dance Energy), Bonger Voges (Tanztheater Neger) und Angelika Meindl (ArtGenosseN) beteiligt. Desweiteren auch die Schwedin Jessica Iwanson, die seit 1974 in ihrer Schule in München TänzerInnen ausbildet und eine der Wegbereiterinnen für modernen Tanz ist. Inzwischen ist der Verein auf 24 Mitgliedern angewachsen.
Unter dem Motto „Künstler für Künstler“ will die Tanztendenz, einen Freiraum für Choregraphen schaffen, ihre Stücke zu recherchieren, Ideen auszuprobieren und dann zu realisieren. Hierfür unterhält die Tanztendenz mit der Unterstützung der Stadt München im Dachgeschoss des „Lindwurmhofs“ drei Studios. Sie stehen allen in München im Bereich zeitgenössischer Tanz arbeitenden ChoreografInnen zur Verfügung – entweder für konkrete Produktionen oder für experimentelles Arbeiten.
Dienstag bis Donnerstag abends findet übrigens jeweils Tanzunterricht in den Räumen der Tanztendenz in der Lindwurmstrasse 88 statt. Die Klassen bei Karen Janker, Sabine Haß-Zimmermann und Stefan Maria Marb sind für jedermann offen. Nach Anmeldung können Anfänger und Fortgeschrittene gleichermaßen proben.
Die Aufführungen finden unter anderem in der schwere reiter Halle im Kreativquartier statt, die sich der Verein mit dem PATHOS Theater und dem Spielraum für aktuelle Musik scope teilt. Alle zeitgenössischen Tanzveranstaltungen in München sind aufgeführt in dem „Tanzkalender“, ein Booklet, das die Tanztendenz vierteljährlich herausbringt.
Der (inter)nationale Austausch ist dem Verein besonders wichtig. Deshalb vergibt er regelmäßig Residenzen an Gastchoreographen. Abschließend werden die Arbeiten einem Publikum gezeigt. Das ist besonders spannend, da man auf diese Weise Einblicke in die Arbeitsprozesse der einzelnen ChoreographInnen bekommt. Teilnehmer der letzten Jahre waren unter anderem Johannes Blatter, Eva Baumann oder Luke Murphy.
Ähnlich auch die Tanztendenz-Reihe „Standpunkt.e.“ Hier wird das Publikum ebenfalls eingeladen, einen Blick hinter „die Kulissen“ einer Produktion zu werfen. Innerhalb einer Woche werden jeweils zwei unterschiedliche Abende gestaltet. Im Zentrum steht nicht ein bestimmtes Stück, sondern die Herangehensweise, das Denken und Tun des Choregraphen. Deshalb trägt die Reihe auch den Beinamen „welcome to my world“.
Darüberhinaus gibt es weitere Projekte. Newcomer aller Stilrichtungen dürfen bei den „Offene Studios“ zwei Wochen lang die Räume der Tanztendenz für ihre Proben kostenfrei nutzen. Im „Choreografen Atelier“ – einer Art Symposium – werden in unregelmäßigen Abständen Themen, wie die Bewegungskunst in Beziehung zu verschiedenen wissenschaftlicher Disziplinen, diskutiert. Es soll dazu beitragen, die Identität der Künstler stärken.
Das von der Tanztendenz kuratierte Festival „side-kicks“ nutzt die Verbindungen des Netzwerks. Dort werden vor allem Inszenierungen gezeigt, die im Rahmen einer Förderung entstanden sind, aber auch internationale Gastspiele. Vielfalt und Diversität stehen im Mittelpunkt. Es möchte der Münchner Tanzszene neue Impulse geben und den Austausch untereinander fördern.
Tanztendenz Gründungsmitglied Micha Purucker im Gespräch
2022 feiert die Tanztendenz – die Interessenvertretung für Tanz in München – ihr 35ähriges Jubiläum. Aus diesem Anlass haben wir dem Gründungsmitglied Micha Purucker ein paar Fragen gestellt:
Welche (persönlichen) Highlights gab es in den 35 Jahren?
„Eine gemeinsame Veranstaltung des Vereins steht an, alle werkeln darauf zu, sind fokussiert auf den Moment, an dem die Türen aufgehen sollen und die Chose stehen muss – diese Konzentration, diese Vibes …. das finde ich immer noch doll, und auch immer wieder: egal , ob es ein Jubiläum oder eine Veranstaltung wie das Internationale Choreographenatelier, Standpunkt.e, side.kicks oder eine Studio Aufführung ist…. das zündet bei mir immer!“
Was waren die größten Herausforderungen?
„Die Herausforderungen? Im Ernst: wo anfangen? irgendwas ist immer, alles ist immer dringlich, alles ist immer zu spät …. zu früh …zu klein …zu gross …. es ist das jonglieren mit Unwägbarkeiten. das Feld – die freie Szene, die Kunst – das ändert sich ständig, was Voraussetzungen, Regularien, Perspektiven, Möglichkeiten ….. whatever …betrifft. Die Herausforderung besteht darin, beweglich zu bleiben und immer wieder herauszufinden und auszutarieren: was bedeutet dieses oder jenes Szenario, dieser oder jener Beschluss, diese oder jene kulturpolitische Massnahme für die Mission des Vereins und dem Vereinsziel, nämlich zeitgenössichen Choreograph:innen die Arbeit zu erleichtern, zur Sichtbarkeit zu verhelfen und so vielleicht auch Respekt und Verständnis für die Kunstform ‚Tanz‘ beizutragen.“
Was bedeutet für Sie die Tanztendenz?
„Als freier Choreograph oder als freie Choreographin hat man in der Regel keine eigene Bühne, keinen eigenen Probenraum, keine gesicherte Finanzierung. Nichts ist wirklich trittfest. Unsere Situation ist ungebunden, frei, selbstgewählt, aber in vielerlei Hinsicht eben auch prekär. Ein niederschwelliger, kostengünstiger Zugang zu Probenraum ist da eine unglaubliche Entlastung und ein Stabilisierungsfaktor für Experiment und Ausdauer!“
Welchen Einfluss hat Tanztendenz auf ihre persönliche Arbeit?
„Raum und zeit sind zwei Grundparameter von Choreographie und Tanz, mehr noch: für Choreographie und Tanz sind sie eben auch unmittelbare Mittel der Gestaltung, weil eben auch der Körper in diesen Dimensionen existiert. der Verein versucht dem Rechnung zu tragen, indem er sich – im Rahmen seiner jeweiligen Möglichkeiten und Zielsetzungen – zur Bereitstellung dieser grundlegenden Gestaltungsmittel engagiert. in der teuersten Stadt der Republik ist es keinesfalls selbstverständlich, dass das gelingt. Daher bin ich stolz, dass uns das schon mal die ersten 35 Jahre gelungen ist ! die Choreograph:innen sind Autor:innen wie es Autorenfilmer:innen, Komponist:innen, Maler:innen, Schriftsteller:innen auch sind: in diesen Sparten gibt es überall selbstverwaltete Strukturen. wenn Tanz endgültig die Fürstenhöfe verlassen will, dann braucht es unabhängige Strukturbildung auch in diesem Bereich und weiterhin. Gerade was zeitgenössische Tanzautorenschaft betrifft.“
Die wichtigste Erkenntnis der letzten 35 Jahre?
„Es geht nicht ohne Engagement der Aficionados. Nie! Danke, aber eben auch: Auf geht’s !“
Vielen Dank für das Gespräch, Micha Purucker!
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splitter + stream / rhetorics of flesh
Ein kleines, intimes Format: ein Mann, eine Pritsche – Choreographie auf engstem Raum – ein Solo in 8 Episoden – torkelnd zwischen Außenraum und Innenwelt
Solo mit dem phantastischen Tänzer Michal Heriban. „Meister der fluiden Verbindung eigentlich unvereinbarer Bewegungsimpulse.“
Freitag, 17. März + Samstag, 18. März 2023, jeweils 20:30 Uhr | Schwere Reiter